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Wiebke Schroeder

8 Stereofonie-Techniken für fantastische Aufnahmen

Allen, die sich schon einmal mit Themen rund um Audio beschäftigt haben, sollten die Begriffe Stereo und Mono bekannt sein. Diese technischen Eigenschaften sind entscheidend dafür, wie und ob wir das, was wir hören, räumlich wahrnehmen. Mit einem Stereo-Signal lässt sich ein Höreindruck vermitteln, als ob die Quelle sich in einem Raum befindet, man einen konkreten Abstand zu ihr hat und sie an einer bestimmten Position im Raum orten kann.


Multimikrofonierung bei einer Akustikgitarrenaufnahme in den Salvador Studioz Münster
(Pseudo-) Stereomikrofonierung Akustikgitarre

Stereo, Mono, Hallo?!


Stereo-Signale können sich aber sehr unterschiedlich anhören. Je nachdem, welche Stereo-Mikrofonierungs-Technik zur Aufnahme genutzt wurde, überwiegt nämlich eher die Laufzeit- oder die Intensitätsstereofonie. Diese zwei Verfahren sind dafür zuständig, dass wir ein Signal orten können. Am besten lässt sich das beispielhaft mit folgendem Szenario beschreiben: Hast du schon einmal dein Handy verlegt und es angerufen, um es zu finden? Schauen wir uns zunächst an, wie die Laufzeit-Stereofonie dir dabei hilft, dein Handy zu finden: Das Geräusch deines Klingeltons bewegt sich mit Schallgeschwindigkeit durch die Luft (ca. 342 m/s). Liegt es links von dir, erreicht der Schall dein linkes Ohr auch ein wenig eher als dein rechtes, weil der Abstand geringer ist. Dein Gehirn errechnet dann automatisch die ungefähre Position deines Handys.


Gleichzeitig nimmt dein linkes Ohr den Schall aber auch lauter war als das rechte: hier kommt die Intensitäts-Stereofonie ins Spiel. Zu diesem Lautstärkeunterschied kommt es, weil der Kopf selbst zum einen den Schall dämpft, der Schall aber auch allein schon durch die Luftreibung an Energie verliert, indem er um den Kopf herum geleitet werden muss, weil er keine freie Bahn zum rechten Ohr hat. Hast du dich nun nach links gedreht, liegt dein Handy vor dir. Der Klingelton erreicht folglich beide Ohren gleichzeitig und ist auf beiden gleichlaut wahrnehmbar. Du kannst das Signal nun mittig im Panorama, also deinem Sichtfeld, orten.


Das Gehirn errechnet die genaue Position der Schallquelle, je nachdem wie groß die Laufzeit- und Lautstärkeunterschiede sind. Bei der Aufnahme eines Stereosignals kann man diese Faktoren unterschiedlich nutzen. Es gibt verschiedenste Aufnahmetechniken, bei denen entweder die Stereofonieverfahren miteinander verbunden werden oder von nur einem der beiden Gebrauch gemacht wird. Das wird durch die unterschiedliche Positionierung von Mikrofonen erzielt. Die Richtcharakteristik der Mikrofone kann dabei variieren, aber grundsätzlich werden für die Stereo-Aufnahme nur Kondensatormikrofone verwendet, weil dynamische Mikrofone nicht empfindlich genug sind.


Verteilung der Stereofonierungs-Techniken auf einer Skala von Intensitätsstereofonie bis Laufzeitstereofonie
Skala der Stereofonierungs-Techniken

Zu den Techniken, die sich ganz auf die Intensitäts-Stereofonie konzentrieren, gehören die XY- und M-S-Positionierung, sowie die Blumlein Technik:


XY-Stereofonie


Skizze XY-Stereofonierung mit Details
Skizze XY-Stereofonierung

Bei dieser Aufnahmetechnik werden zwei im Frequenzgang aufeinander abgestimmte Mikrofone, ein sogenanntes “matched pair”, mit Nierencharakteristik übereinandergelegt und gegeneinander angewinkelt. Meist wird zu einem 90°-Winkel geraten, theoretisch kann der Winkel aber überall zwischen 135° und 0° liegen, wobei 0° ein Mono-Signal erzeugen würde. Die Stereowirkung des Signals entsteht dann dadurch, dass die eintreffenden Schallwellen der Quelle von einem der beiden Mikrofone lauter aufgenommen werden.

Ein großer Vorteil ist, dass diese Methode absolut monokompatibel ist, weil sie sich auf die Intensitätsstereofonie beschränkt. Heißt also, dass du deine Musik wie gewohnt genießen kannst, auch wenn du nur einen Lautsprecher hast - eben in mono hörst.


Blumlein-Stereofonie

Skizze Blumlein Stereofonie mit Details
Skizze Blumlein Stereofonierung

Die Blumlein Technik ist eine spezielle Form der XY-Stereofonie. Der Unterschied ist, dass hier Mikrofone mit einer Achtercharakteristik anstatt der Nierencharakteristik eingesetzt werden. Diese Mikrofone nehmen nicht nur Schallwellen von vorn, sondern auch von hinten auf, und seitlich eintreffende Schallwellen werden - anders als bei der Niere - nicht bzw. nur stark abgeschwächt aufgenommen. So kann eine sehr gute Raumwiedergabe erzielt werden. Allerdings kann es auch nachteilig sein, dass Signale von hinten aufgenommen werden, z.B. bei der Aufnahme eines Konzerts mit Publikum. Auch dieses System beschränkt sich auf die Intensitätsstereofonie und ist somit monokompatibel.


M-S-Stereofonie

Skizze M-S-Stereofonierung mit Details
Skizze M-S-Stereofonierung

Eine weitere Methode, die sich auf die Intensitätsstereofonie beschränkt, ist die M-S-Technik. M-S steht in diesem Fall für Mitte-Seite, woraus man direkt auf das ungefähre Prinzip dieser Methode schließen kann. Das „Mitten-Mikrofon“ weist meist eine Nierencharakteristik auf und zeigt nach vorne, also direkt auf die Schallquelle. Ein Mikrofon mit Achtercharakteristik – das „Seiten-Mikrofon“ – liegt um 90° versetzt direkt über dem M-Mikrofon, zeigt also zur Seite. Diese Technik wird meist in einem Mikrofon(gehäuse) untergebracht. Damit ist man mobil, denn es eignet sich hervorragend für Broadcasting, und kann so beispielsweise auf einer Video-Kamera montiert werden.

Dafür, wie du deine M-S-Signale in die DAW und ein Projekt einbindest, gibt es nun zwei Möglichkeiten:


1. Du encodierst die Signale nach der Formel M = L + R; S = L – R. Sowohl das Mitten- als auch das Seitensignal routest du auf 2 Busse, wobei du den Bus deines Seitensignals um 180° in der Phase drehst. Schickst du nun jeweils den ersten Kanal beider Signale auf eine Subgruppe, erhältst du den linken Kanal. Auch den zweiten Bus des Mittensignals und den zweiten, um 180° gedrehten Bus des Seitensignals, schickst du auf eine Subgruppe und bekommst so den rechten Kanal. Dabei musst du darauf achten, dass sich die Lautstärke im Vergleich zu den Ausgangssignalen verdoppeln wird; zieh also den Fader 6db runter.


Einbindung M-S-Signale in deine DAW mit Details
Einbindung M-S-Signale in deine DAW


2. Bei der zweiten Möglichkeit würde man das Mittensignal mittig lassen, das Seitensignal duplizieren und das gedoppelte Signal um 180° in der Phase drehen. Somit hast du also 3 Spuren. Die Lautstärke bestimmst du mit dem Mittensignal und mit den beiden Seitenkanälen die Breite. Dadurch, dass sich die Seitensignale völlig auslöschen, wenn sie zusammenaddiert werden, verfügt diese Schaltung über Mono-Kompatibilität, was ein deutlicher Vorteil ist.


Alternative Einbindung M-S-Signale in deine DAW mit Details
Alternative Einbindung M-S-Signale in deine DAW

AB-Mikrofonierung

Skizze AB-Stereofonierung mit Details
Skizze AB-Stereofonierung

Die AB-Mikrofonierung bedient sich der Laufzeitstereofonie. Zwei Mikrofone mit Kugelcharakteristik werden mit der Membran nach vorne in Richtung Schallquelle zeigend, in einem zu errechnenden Abstand, passend zur Breite der Quelle, parallel zueinander angeordnet. Dabei hängt die Basisbreite, also der Abstand zwischen den beiden Mikrofonen, immer von der jeweiligen Schallquelle ab. Soll eine Akustikgitarre aufgenommen werden, sollte sie ca. 20-30 cm betragen, bei einem großen Ensemble hingegen mehrere Meter. Hier darf gerne auch etwas experimentiert werden, um das für dein Projekt passende Klangbild aufzunehmen. Bei dieser Mikrofonierung trifft Schall direkt von vorne auf beide Mikrofone. Wenn der Schall von rechts kommt, erreicht dieser auch zuerst das rechte Mikrofon, kurze Zeit später das linke. Es tritt also eine Laufzeitverzögerung auf. Trotzdem sollte die Laufzeit des Schalls zu beiden Mikrofonen möglichst nicht zu unterschiedlich sein, da es sonst zu Phasenproblemen kommen kann. Bei dieser Mikrofonierung ist außerdem ein starkes Panning des jeweils aufgenommenen linken und rechten Kanals ideal, da es das Klangbild umso breiter wirken lässt.


Darstellung Laufzeitunterschied AB-Mikrofonierung mit Details
Darstellung Laufzeitunterschied AB-Mikrofonierung


Die Jecklin Scheibe und der Kunstkopf


Skizze zur Jecklinscheibe mit Details
Skizze zur Jecklinscheibe

Für die Jecklin Scheibe werden 2 Mikrofone mit Kugelcharakteristik in einem Abstand von 16,5cm zueinander aufgestellt. Dazwischen wird ein Trennkörper, in diesem Fall eine speziell dafür angefertigte, runde Scheibe mit einem Durchmesser von 30-35 cm geschoben, die durch die Abschattung seitlich eintreffender Schallwellen frequenzabhängige Pegelunterschiede erzeugt. Die Abschattung nimmt oberhalb von 500 Hz zu und wird unterhalb von 500 Hz schwächer und führt dadurch zu einer eher mono-lastigen Wahrnehmung der Frequenzen unter 500 Hz. Bei der Jecklin Scheibe orientiert man sich an der Anatomie des Menschen. Weil die Ohren am Kopf mehr oder weniger voneinander abgeschirmt sind, werden höhere Frequenzen von der Kopfmasse absorbiert, wobei tiefere Frequenzen den Kopf ohne weiteres durchqueren können. Das führt dazu, dass wir tieffrequente Schallquellen kaum orten können. Dadurch, dass dieses Verfahren das menschliche Hören simuliert, eignet es sich allerdings nur für das Hören mit Kopfhörern, da sich beim Hören über Lautsprecher der Effekt addieren würde - es sei denn, ihr seid kopflos im Studio unterwegs! Durch die Abschirmung der oberen Frequenzen entsteht bei diesem Stereo-Mikrofonierungsverfahren eine Mischung aus Laufzeit- und Intensitätsstereofonie.


Mischformen der Rundfunkanstalten


Einige Rundfunkanstalten haben durch eine Art Trial, Error and Calculation-Verfahren eigene Techniken erfunden. ORTF, EBS und NOS sind alles Mikrofonierungstechniken, die mehr oder weniger beide Stereofonien nutzen und bestmöglich kombinieren.


Der französische Rundfunk hat eine Mischform entwickelt, bei der zwei Nieren-Mikrofone in einem Abstand von 17cm und einem Winkel von 110° zueinander aufgestellt werden. Dadurch wird sowohl ein Laufzeit- als auch ein Intensitätsunterschied erzielt, weshalb es schon recht nahe an das natürliche Stereoempfinden herankommt, allerdings überwiegt weiterhin die Intensitätsstereofonie. Bekannt ist die Technik unter der Abkürzung ORTF (Office de Radiodiffusion Télévision Française).

Skizze ORTF-Stereofonierung mit Details
Skizze ORTF-Stereofonierung


EBS ist eine Methode, bei der sich Laufzeit- und Intensitätsstereofonie im Gleichgewicht befinden. Namensgeber ist Eberhard Sengpiel, der dieses Stereomikrofonierungssystem zusammen mit einer Gruppe von Tonstudenten erforscht und entwickelt hat. Es werden zwei Mikrofone mit Nierencharakteristik in einem Winkel von 90° und einem Kapselabstand von 25cm aufgestellt.Dieses Verfahren vereint die Vorteile beider Stereomikrofonierungsverfahren und ist ein vielseitig einsetzbarer und flexibler Kompromiss.

Skizze EBS-Stereofonierung mit Details
Skizze EBS-Stereofonierung


Die NOS Mikrofonierung (Nederlandse Omroep Stitching) ist fast identisch mit der EBS Mikrofonierung. Es werden also zwei Nieren im 90° Winkel aufgestellt, nur der Kapselabstand wird auf 30cm vergrößert, was dazu führt, dass die Laufzeitstereofonie überwiegt.

Skizze NOS-Stereofonierung mit Details
Skizze NOS-Stereofonierung


Damit deine Aufnahme nun wirklich die volle Lautsprecherbasis ausfüllt und schön gleichmäßig im Stereobild erscheint, müssen der Aufnahmebereich und Ausdehnungsbereich übereinstimmen. Der Aufnahmebereich ist von der Mikrofonbasis, dem Achsenwinkel und der Richtcharakteristik der Mikrofone abhängig. Alle drei Faktoren laufen entgegengesetzt vom Aufnahmebereich, der Aufnahmebereich wird also größer, wenn du z.B. die Mikrofonbasis kleiner einstellst. Der Ausdehnungsbereich hingegen ist vom Abstand des Mikrofonsystems von der Schallquelle und der Breite des Klangkörpers abhängig. Wenn der Abstand vergrößert wird, verkleinert sich der Ausdehnungsbereich; auch diese Faktoren laufen also entgegengesetzt. Im Gegensatz dazu verringert sich auch der Ausdehnungsbereich, wenn die Aufstellungsbreite des Klangkörpers verkleinert wird.


Merke:

Bei der Laufzeitstereofonie werden Laufzeitunterschiede genutzt. Beide Mikrofone sind in unterschiedlichen Abständen und in verschiedenen Winkelungen zueinander angeordnet und können auch verschiedene Richtcharakteristiken haben.

Die Intensitätsstereofonie hingegen macht von den unterschiedlichen Schallpegeln, die auf die Mikrofone treffen, Gebrauch. Dabei sind die Mikrofone nah aneinander angeordnet oder sogar in einem Gehäuse untergebracht.



Puh, das war jetzt erst mal ganz schön viel Information. Wie immer gilt aber natürlich: probieren geht über studieren, grau ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum! Schnappe dir also deine Mikrofone und schaue selbst, welche Technik dich bei deinem Projekt am meisten überzeugt.


Hat dir unser Blog gefallen? Hast du Fehler gefunden? Wir würden uns sehr über dein Feedback und natürlich auch das Teilen und Liken des Blogs in den sozialen Medien freuen. Bis zum nächsten Mal!


Eure Wiebke (Praktikantin Salvador Studioz Münster, Februar 2022) & die Salvadoritoz


 

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